Rezension: Musizieren mit links von Walter Mengler

Musizieren mit links

Linkshändiges Instrumentalspiel in Theorie und Praxis

 

Schott Music, Mainz, 2010

 

Mit diesem Buch stellt erstmals jemand in ausführlicher Weise die Bedeutung der Händigkeit in Bezug auf das Spielen eines Musikinstrumentes dar. Walter Menglers Motivation für seine Auseinandersetzung mit dem noch immer heiklen Thema „Musizieren mit links“ ist im Wesentlichen persönlich geprägt: Er selbst ist Linkshänder und „normal“ spielender Berufscellist; in seinem „persönlichen Nachwort“ legt er die Schwierigkeiten dar, die sein Musikerleben immer begleitet haben.

Sein Ausgangspunkt ist die Prämisse, dass aktives Musizieren eine das Gehirn motorisch und emotional so ungemein fordernde Tätigkeit ist, dass die Handdominanz des Musikers gerade dort Beachtung finden sollte. Da die Aufgaben der beiden Seiten bei den meisten Instrumenten sehr unterschiedlich sind, sollte der Linkshänder die Möglichkeit haben, seitenvertauscht zu spielen – nur dann kann sich letztlich eine wirkliche Freude am Instrumentalspiel, ein „Wohlgefühl“ einstellen. Diesem Wohlgefühl gibt Mengler einen großen Stellenwert fürs Musizieren – zu recht.

Offensichtlich sind Probleme linkshändiger Musiker, die normal spielen, auf die Anpassung an eigentlich für Rechtshänder ausgerichtete Instrumente zurückführen -wie z.B. schnelle Ermüdung der rechten Seite durch zu hohen Krafteinsatz, angestrengte Bogenhaltung der rechten Hand bei Streichern und geringere Repetitionsfähigkeit (Tastenanschlag, Bogen- bzw. Zupfbewegung). Als psychische Belastung linkshändiger Instrumentalisten führt Mengler noch „ein grundsätzliches Gefühl von Unsicherheit“ an, das sich „unter Stress verstärkt“. Er hält fest, dass alle geschilderten Symptome „individuell verschieden“ auftreten, dass aber „alle“ Linkshänder, die auf einem Rechtshänderinstrument spielen – auch wenn sie dies erfolgreich und beruflich tun – “ihren Preis für die Vertauschung der Handpräferenz zahlen“ (S. 50).

In seinem fundierten Kapitel „Händigkeitsbezogene Analyse der Musizierpraxis“ betrachtet Mengler Instrumente im Hinblick auf ihre historische Spielpraxis und die Aufgaben der beiden Hände in Bezug auf die technischen Anforderungen und den musikalischen Ausdruck. Er legt ausführlich dar, wie Instrumente umgestellt werden können bzw. bei welchen es schwierig oder gar unmöglich ist.

In einer niemals dogmatischen Art ermutigt er Lehrer zu Offenheit gegenüber linkshändigem Spiel (betont aber die Wichtigkeit der „freien Wahl“), gibt methodische Anregungen zum Ausprobieren und zum Unterrichten „anders herum“. Ebenso aber macht Mengler linkshändigen Musikern Mut, die von Anfang an normal spielen; er hat für diese wertvolle „Übungen zum Ausgleich der Dysbalance“ zusammengestellt – sicherlich für ihn persönlich als Berufsmusiker wichtig; denn für ihn bestand beim Cellospielen immer das Problem des „Ungleichgewichts von beabsichtigter Wirkung und eingesetzter Kraft“ (S. 156).

Beeindruckend ist, wie er das Thema „Linksspielen“ im Orchester angeht: er geht sehr behutsam vor, indem er sagt: „Wenn es richtig ist, dass Linkshänder seitenvertauscht spielen, um gesund und leistungsfähig musizieren zu können, muss es möglich sein, die Frage des Zusammenspiels im Orchester zu lösen“ (S. 63).

Diesen theoretischen und praktischen Ausführungen zum Thema „Musizieren mit links“ stellt Mengler einen Grundlagenteil voraus, zu dem ein paar Anmerkungen zu machen sind: Da, wo es um „Mögliche Folgen der Umerziehung“(Kap.1.5.) geht, bezieht er sich leider wenig auf Frau Dr. Sattler und ihr Buch „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“, obwohl er es in der Literaturliste angibt. Er erwähnt gleich die Konsequenzen der Umschulung auf die Psyche eines Kindes (mangelndes Selbstwertgefühl, kompensatorisches Verhalten) führt aber z.B. nicht die feinmotorischen Störungen an, die ja gerade in Bezug auf das Spielen eines Musikinstrumentes belastend sein können. Ebenso benutzt er die Begriffe „primäre“ und „sekundäre“ Folgen der Umschulung, ohne sie zu erläutern (S. 26). Das Beispiel „Zeichnen mit dem Lineal“ ist weniger geeignet, die primären oder sekundären Folgen der Umschulung zu verdeutlichen, als aufzuzeigen, welche Probleme ein Linkshänder mit einem Rechtshänderlineal haben kann.

Das Unterkapitel „Individuelle Umerziehung“ (S. 27) ist nicht ganz zu fassen; er teilt „die Stärke und Härte des Zwangs zur rechten Hand“ in vier Gruppen ein.

Gruppe 1 ordnet er diejenigen Linkshänder zu, die „nicht vorsätzlich in der Bevorzugung einer Hand beeinflusst worden sind“, die aber dennoch teilweise „Umerziehungsmaßnahmen“ unterliegen, da die linke Seite in der Sprache abgewertet werde und die betroffenen sich an Rechtshändergeräte anpassen müssen. Zur Gruppe 2 gehören diejenigen Kinder „die in der Schule ‚nur’ zum Schreiben, manchmal auch zum Malen und Zeichnen mit der rechten Hand gedrängt“ würden. Er bezeichnet dies als „Variante der Umerziehung“, dabei trifft dies genau den Kern dessen, was „Umerziehung“ (bzw. „Umschulung“) ausmacht. Der von Frau Dr. Sattler geprägte Begriff der „Umschulung“ bezieht sich ja im Wesentlichen auf das Schreiben, weil diese Tätigkeit aufgrund ihrer Komplexität eine massive Störung der Gehirnprozesse und eine Folge von komplexen Störungen nach sich zieht.

In der Gruppe 3 nennt Mengler die Kinder, die früh von ihren Eltern zur gesellschaftlichen Anpassung in Bezug auf Essen und Handgeben gesteuert wurden, was bei den Kindern zu Gefühlskonflikten führe. Entscheidender ist meiner Meinung nach, die Folgen zu betrachten: Kinder, die zum Essen mit der rechten Hand „gezwungen“ werden, werden womöglich auch die rechte Hand zum Malen und dann zum Schreiben nehmen. Und dann sind die wirklichen Probleme vorprogrammiert. Ein Unlustgefühl, was die Nahrungsaufnahme mit der „falschen Hand“ hervorrufe, scheint mir nicht so gravierend.

Die Gruppe 4 umfasst die „härteste, inzwischen nicht mehr allzu häufige Variante“ des Versuchs „der konsequenten Umerziehung von links auf rechts mit allen Mitteln“ (S. 28). Hier kann man sich fragen, wie so etwas vonstatten geht – von außen. Eher beobachte ich, dass Kinder selbst sich aufgrund von äußeren Einflüssen oder Verbundenheit mit ihrer rechtshändigen Familie es sich zum Vorsatz machen, das rechts „richtig“ sei.

Mengler hätte im Zusammenhang mit dem Thema „Umschulung“ (bzw. „Umerziehung“) darauf hinweisen sollen, dass, ganz gleich ob ein Kind sanft oder mit Gewalt von außen zur rechten Hand gebracht wird, ob es sich anpasst oder nachahmt, weil es dazugehören will: der Eingriff ins Gehirn ist immer gravierend und die Folgen sind es auch – wenn die Umschulung Tätigkeiten betrifft, die das Gehirn stark fordern. Und dies lässt sich auf das Spielen eines Musikinstrumentes übertragen – hier liegt ja eine noch komplexere Tätigkeit vor als beim Schreiben.

In seinem Grundlagen-Kapitel im Unterpunkt „Lateralität des Gehirns, Motorik und Denkweise „ stellt Mengler zwar ausführlich die Asymmetrie der beiden Gehirnhälften in Bezug auf ihre „Denkweisen“ dar (S. 30f.), es wird aber nicht klar, dass Dominanz einer Hand die Überlegenheit einer Gehirnhälfte in Bezug auf die motorischen und sensorischen Verarbeitungszentren bedeutet. (Sattler, Knoten S. 42f.). Eine Anmerkung noch zum Unterpunkt „Leistungstests“ im Kapitel „Händigkeit und wissenschaftliche Forschung“: Es ist m.E. nicht ganz deutlich, wie weit man die Untersuchungsmethode des „Finger-Tapping“, die Schnelligkeit misst, auf die Fingerbewegungen beim Instrumentalspiel übertragen kann (S. 42).

Für uns als Linkshänderberaterinnen nach Methodik Dr. Sattler gibt es in den ersten Kapiteln von Menglers Buch einige Unstimmigkeiten – das sollte festgehalten werden. Im weiteren Verlauf des Buches, wo es um die Bedeutung der Handdominanz für das Musizieren und die verschiedenen Instrumente in ihrer Spielweise geht, zeigt er gründliche Arbeit und große Kompetenz. Insgesamt ist somit das Buch für Musiker, Musikpädagogen und Eltern ein überaus wertvoller Ratgeber, zumal Mengler dem Leser nicht etwas überstülpen will, sondern das Thema sachlich und vorsichtig, verschiedene Argumente beleuchtend, angeht – und das in einem niemals verbissenen, sondern eher lockeren, erfrischenden Stil. Sehr angemessen finde ich sein Resümee: „Der Zug des Spielens mit der dominanten Hand ist angefahren. Wie schnell er sich jedoch bewegen wird, lässt sich nicht vorhersagen, anhalten lässt er sich aber nicht mehr“ (S. 154f.).

 

Dr. Andrea Arnoldussen
Musikwissenschaftlerin
Linkshänder-Beraterin zert. S-MH Konzept