Linkshändige und umgeschulte linkshändige Kinder in der Ergotherapie

Linkshändige und umgeschulte linkshändige Kinder sowie Kinder mit wechselndem Handgebrauch in der Ergotherapie

Johanna Barbara Sattler

Linkshändigkeit ist in unserer Kultur auch heutzutage oftmals noch negativ besetzt. Schon kleinen Kindern wird beigebracht, zur Begrüßung das „richtige“ Händchen zu benutzen, später wird die Benutzung der linken Hand zum Schreiben oder Malen kritisch beobachtet. Obwohl inzwischen die „Umerziehung“ eines Linkshänders auf die rechte Hand auch in den Schulen nicht mehr unterstützt wird, wird dies im familiären Umfeld häufig noch versucht. Neben den Folgen einer solchen Umschulung haben Menschen mit Präferenz der linken Hand auch im Alltag mit Problemen zu kämpfen.Viele Gegenstände und Tätigkeiten des täglichen Gebrauchs sind für die Benutzung der rechten Hand ausgelegt, spezielle Anfertigungen – wie etwa Scheren – müssen gesondert erworben werden oder, wenn das nicht möglich ist, sollten bestimmte Tätigkeiten auf eine andere, ökonomischere Art und Weise erlernt werden, z.B. das Schreiben. Die dominante Hand sollte daher am Besten vor der Einschulung feststehen, damit eine gezielte Förderung erfolgen kann. Die Bestimmung der Händigkeit durch eine differenzierte Untersuchung erfordert viele theoretische und praktische Kenntnisse, die Berücksichtigung verschiedener Bereiche (z.B. ausführliche eigene und Familienanamnese, soziokulturelles Umfeld) und die Anwendung verschiedener Tests. Die Ansprüche an eine umsichtige Händigkeitsuntersuchung werden im ersten Teil dieses Artikels dargestellt, im zweiten Teil erfolgt die Darstellung anhand eines Fallberichts.Dr. Johanna Barbara Sattler die Gründerin und Leiterin der Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, München, ist Psychologin und approbierte Psychotherapeutin. Über ihre Forschungen zur Händigkeit und Folgen der Umschulung der Händigkeit veröffentlichte sie mehrere Bücher und viele Fachartikel. Sie bietet Seminare und Vorträge für Angehörige verschiedener Berufsgruppen aus den Bereichen Therapie, Schule und Erziehung an. Fachleute aus verschiedenen Bereichen können unter ihrer Leitung eine Zusatzausbildung zum/zur Linkshänder-BeraterIn absolvieren.

Ergotherapeuten, Heilpädagogen und Mototherapeuten gehören neben Ärzten und Pädagogen (Lehrern und Erziehern) zu den Berufsgruppen, die heutzutage wohl am häufigsten auf Händigkeitsfragen angesprochen werden.
Wünschenswert ist, dass Kinder von Anfang an in ihrer angeborenen Händigkeit belassen werden und sie nicht, wie es auch heute noch manchmal linkshändigen Kindern geschieht, auf rechts umgeschult werden. Traditionsbedingte Argumente oder mechanistische Überlegungen werden als Begründung für die Umschulung zum Gebrauch der rechten Hand angeführt.
Dies betrifft besonders Kinder mit noch wechselndem Handgebrauch – gerade diese weisen häufig zerebrale Irritationen auf (1) bzw. gehören zu der Gruppe von Kindern, bei denen Ergotherapeuten besonders oft sensomotorische Entwicklungsverzögerungen als eine wichtige Behandlungsnotwendigkeit beobachten.

Alter der Manifestation der Händigkeit
Ergotherapeuten berichten inzwischen zunehmend, dass der Anteil der linkshändigen Kinder und der Kinder mit wechselndem, noch nicht festgelegtem Handgebrauch in ihren Praxen ansteigt. Manche sind durch diese Situation verunsichert, da sie während ihrer Ausbildung oft nicht ausreichend darauf vorbereitet wurden. Wenn sie nur annähernd der Problematik gerecht werden wollen, müssen sie sich mühsam Händigkeitsuntersuchungsmethoden, Beobachtungskriterien und den Umgang mit der Thematik Linkshändigkeit – in einem manchmal noch von Vorurteilen und Vorbehalten geprägten gesellschaftlichen Umfeld – in Eigeninitiative aneignen (2).

Angehende Ergotherapeuten werden in sehr unterschiedlichem Ausmaß auf Händigkeitsfragen und -untersuchungen vorbereitet. Erst in den letzten Jahren wird das Thema häufiger angesprochen. Lehrpläne und Lehrvorgaben berücksichtigen Linkshänder meist nicht und erst ganz langsam setzt sich ein Bewußtsein dafür durch, dass Linkshänder sowohl ein Thema in der Pädiatrie als auch bei der Rehabilitation von Unfall- und Schlaganfallpatienten ist (Lehrpläne für die Berufsfachschulen für Ergotherapie, München, 2001, S.124 (3)).

Bemerkenswert ist, dass in der Neufassung des Lehrplans für die Grundschulen in Bayern ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass „Linkshänder … nicht zum bevorzugten Gebrauch ihrer nicht dominanten Hand angehalten werden“ dürfen. „Die angeborene Händigkeit darf nicht umgeschult werden“ (4).

Da Ergotherapeuten und andere Berufsgruppen, die mit bewegungsauffälligen Kindern arbeiten (insbesondere Heilpädagogen, Moto- und Physiotherapeuten), vornehmlich Kinder mit Entwicklungsstörungen verschiedenster Art in ihren Praxen behandeln, ist notwendigerweise ihr Blick auf diese Kinder fokussiert. Kinder, die keine derartigen Probleme haben, werden seltener behandelt. Eher fällt das eigene Kind oder das von Freunden oder Bekannten auf, weil es bestimmte Schwierigkeiten, die der Therapeut tagtäglich in seiner beruflichen Arbeit antrifft, nicht hat – manchmal auch durch eine andere Entwicklung des Handgebrauchs. Es handelt sich dabei um eine große Gruppe von Kindern, die schon sehr früh eindeutig links- oder rechtshändig hantieren. Manchem Ergotherapeuten erscheinen deren Entwicklungsschritte dann oft mehr die Ausnahme als die Regel.

In der für Kinder- und Allgemeinärzte konzipierten Tab. 1 „Diagnostische Fragen zur Bestimmung der Händigkeit beim Kinderarzt“ (5), werden unterschiedliche Händigkeitsmanifestationen in verschiedenen Altersstufen von Kindern aufgeführt.

Diagnostische Tätigkeitsbeobachtungen und Diagnosemöglichkeiten für den Arzt werden vorgeschlagen, ebenso Überlegungen eingebracht, welche beratenden Hinweise und Verordnungen bei entsprechender Händigkeitsmanifestation und Alter des Kindes den Eltern gegeben werden könnten und wann therapeutischer Handlungsbedarf gegeben erscheint. Die Tabelle entstand auf der Basis der über 15-jährigen Forschungen und Beobachtungen in der Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in München. Es wurden Händigkeitstests und -untersuchungen an fast 10.000 Kindern und Elternbefragungen im Rahmen der Beratungstätigkeit durchgeführt. Bestätigt haben sich diese Ergebnisse auch im Rahmen der Fortbildungstätigkeit insbesondere bei Kinderärzten.

Diagnostische Fragen zur Bestimmung der Händigkeit beim Kinderarzt

Alter des
Kindes
Händigkeitsman-festation des Kindes Tätigkeiten Einwirkung von außen, Aktionen und Eigenheiten des Kindes diagnostische Möglichkeiten medizinisches Vorsorgeheft Beratung und Verordnung des  Arztes
Bis 10 Monate In Einzelfällen eindeutige Bevorzugung der linken oder rechten Hand greifen Manchmal können z.B. hemiparethische Störungen die Handmanifestation beeinflussen Beobachtung der Eltern und des Kinderarztes    
10 – 20 Monate 1. Bei einem großen An-teil der Kinder eindeutige Bevorzugung der linken oder rechten Hand

2. Wechselnder, noch nicht festgelegter Handgebrauch
bei den anderen Kindern

greifen
essen
spielen
erste Versuche
einen Stift zu halten
Zunehmende Reaktionen der Um-welt auf die Linkshändigkeit. Manchmal werden linkshändig veranlagte Kinder nach rechts umgeschult.
Das Kind selbst reagiert durch Nachahmungs- und Modellver-halten auf die Umwelt.
Probleme, Mittellinie nicht über-kreuzen zu können und evtl. Asym-metrie durch noch vorhandene frühkindliche Reaktionen wie ATNR u.ä.
Beobachtung der Eltern und des Kinderarztes:
Spielzeug, Löffel, Stift, Wachsmalkreide (Gegenstände mittig anbieten)
U 6
Eintrag:
– vornehmlich linkshändiges Hantieren
– vornehmlich rechtshändiges Hantieren
– wechselnder,
noch uneindeutiger Handgebrauch
1. Bei vornehmlich linkshändigem Hantieren:
– Warnung vor Umschulung der Händigkeit (möglichst wenig das Thema vor dem Kind problematisieren)
– Hinweis, dass Linkshändigkeit normal ist und man Händigkeit so natürlich wie das Geschlecht behandeln soll
– Hinweis, dass es Scheren u.a. Gebrauchsgegenstände für Linkshänder gibt 2. Bei wechselndem Handgebrauch: Kind im Handgebrauch nicht beeinflussen
4 – 5,5 Jahre 1. Der bevorzugte Handgebrauch hat sich bei vielen Kindern auf links oder rechts stabilisiert
2. Manche Kinder wechseln nach wie vor den bevorzugten Handgebrauch
wie oben sowie komplizierteres Hantieren, Benutzen von Werkzeugen, Stiften, anspruchsvollere
feinmotori-sche Tätigkeiten
– Automatisierung von Tätigkeiten manchmal auch auf der nicht dominanten Hand durch Erziehung, Modell- und Nachahmungsverhalten, fehlende Gebrauchsgegenstände wie z.B. Schere.
– Kinder, die sich bewusst auf eine Hand festlegen, weil sie so sein wollen „wie die anderen“.
– Teilleistungsstörungen, die eine Entwicklung der Händigkeit beeinflussen können
Beobachtung der Familie, Erzieher und des Kinderarztes: 

1. Bei Eindeutigkeit ist normalerweise keine Testuntersuchung notwendig 

2. Feststellung der uneindeutigen Händigkeitsmanifestation. Händigkeitsunter-suchungen bei Fach-leuten, die speziell in der Händigkeitsdiag-nostik ausgebildet sind und darin Erfahrungen haben 

Zur Beobachtung möglichst einhändig durchgeführte, möglichst unbeeinflusst von Erziehung, Tätigkeiten, keine asymmetrischen Gebrauchsgegenstände

U 8
Eintrag:
– vornehmlich linkshändiges Hantieren
– vornehmlich rechtshändiges Hantieren
– wechselnder, noch uneindeutiger Handgebrauch
1. Hinweis: rechtzeitig auf lockere Haltung bei schreibvorbereitenden Übungen achten 2. Untersuchung beim Fachmann mit speziellen Erfahrungen in Händigkeits- und Entwicklungsdiagnostik

Tabelle: Diagnostische Fragen zur Bestimmung der Händigkeit beim Kinderarzt (analog J.B.Sattler: 2001, Schlusswort. In: Kinder- und  Jugendarzt. S. 431.)

Ansprüche an eine umsichtige Händigkeitsuntersuchung
Bei Kindern, die schon relativ früh eindeutig links- oder rechtshändig hantieren, ist eine Untersuchung und Diagnose der Händigkeit eher unproblematisch. Schwierigkeiten treten bei der Befunderhebung auf, wenn eine Hand oder ein Arm verletzt wurden oder wenn Umschulungsversuche z.B. durch die Familie stattfanden oder wenn das Kind sich selbst durch Modell- und Nachahmungsverhalten auf die nicht dominante Hand umzuschulen (6) beginnt.

Bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch kann eine Händigkeitsuntersuchung jedoch zeitaufwendig und manchmal die abschließende Entscheidung schwierig sein. Spätestens im Alter von 4 bis 5 Jahren (Zeitraum der U 8 im medizinischen Vorsorgeheft) sollte bei solchen Kindern eine umfassende Händigkeitsuntersuchung durchgeführt werden. Bezüglich der Händigkeitsbestimmung ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die Fachkraft praktische und theoretische Kenntnisse auf dem Gebiet der Händigkeitsuntersuchung angeeignet hat.

Eine Händigkeitsuntersuchung sollte sich aus verschiedenen Teilbereichen zusammen setzen:

a) Erhebung von anamnestischen Daten über das Kind und seine Entwicklung

b) Sorgfältige Beobachtung der Händigkeit bei verschiedenen Tätigkeiten

c) Berücksichtigung von Händigkeitstests unter dem Gesichtspunkt der Validität in der heutigen Zeit und für das jeweilige Kind

d) Beobachtung und gegebenenfalls Testung der Fein- und Grobmotorik des Kindes und damit im Zusammenhang stehenden möglichen Irritationen, die sich auf den Handgebrauch auswirken können: ein Unfall betreffend Hand oder Arm, eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten der Hand, neurologische Erkrankungen, die sich auf den Handgebrauch auswirken können (z.B. Cerebralparese), noch nicht auf ein normales Maß abgebaute Reflexe bzw. Reaktionen. Dieser Bereich sollte auf alle Fälle von geschulten Fachpersonen durchgeführt werden. Wenn die Händigkeitsuntersuchung von einem nicht auf diesem Gebiet geschulten Berater gemacht wird, ist unbedingt die Meinung eines diesbezüglich ausgebildeten Ergotherapeuten oder ähnlichen Fachmanns einzuholen.

Zur Einschätzung der Händigkeit des Kindes müssen alle diese 4 Teilbereiche sorgfältig und gründlich berücksichtigt werden. Die endgültige Beurteilung kann nicht durch die Anwendung einer mathematischen Formel erzielt werden sondern bedarf der Berücksichtigung der folgenden Faktoren:

1. Sozio-kulturelle Einflüsse (es gehört sich, „so und so“ zu essen, sich so zu begrüßen, so das Kreuzeszeichen in der Kirche zu machen u.a.)
2. Störungen durch Umschulungsversuche (durch Familienmitglieder und andere enge Bezugspersonen des Kindes)
3. Neigung zu Modell- und Nachahmungsverhalten des Kindes
4. Neigungen zu handeln und zu denken bei links- oder rechtshemisphärischer motorischer Gehirndominanz (7).

Im weiter hinten aufgeführten Fallbericht sind alle diese Bereiche von grundlegender Bedeutung und werden an einem typischen Beispiel aus der Praxis geschildert.

Tätigkeitsitems und ihre Berücksichtigung bei der Händigkeitsbeobachtung

Eine sorgfältige Beobachtung der Händigkeit bei verschiedenen Tätigkeiten sollte unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet und beurteilt werden:

1.1. Sehr spontane, von der Erziehung/Umwelt nicht bzw. kaum geprägte Tätigkeiten, die mit einer Hand vollzogen werden können.
1.2. Sehr spontane, von der Erziehung/Umwelt nicht bzw. kaum geprägte Tätigkeiten, die mit zwei Händen vollzogen werden können.
2. Durch Erziehung und Nachahmung geprägte und beeinflusste Tätigkeiten.
3. Durch technische Vorrichtungen geprägte Tätigkeiten und fehlende linkshandgerechte Produkte.

Fragebogen zur Bestimmung der Händigkeit

In dem Fragebogen zur Bestimmung der Händigkeit wurden die Tätigkeitsitems nach diesen Gesichtspunkten zusammengestellt. Ein Auszug des Fragebogens kann entweder aus dem Internet heruntergeladen (www.forum-ergotherapie.de oder Dokumentationsbogen zur Händigkeitsabklärung S-MH® oder bei der Redaktion kostenlos bezogen werden (Einzelheiten finden Sie am Ende des Artikels). Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Tätigkeitsitems in Bezug auf die oben genannten Gesichtspunkte kann hier aus Platzgründen nicht vorgenommen werden.

Interessant, aber für die Beurteilung der Händigkeit mit großer Zurückhaltung zu bewerten ist die Füßigkeit. Wir benutzen die Füße nicht zu so feinen Tätigkeiten wie die Hände und so bildet sich die motorische Dominanz entsprechend der Händigkeit dort auch nicht so großen Maßen aus (8). Des Weiteren sind an vielen Tätigkeiten beide Füße beteiligt. Bei Kindern, die z.B. unter Gleichgewichtsstörungen leiden, kann der Fußgebrauch dadurch maßgeblich beeinflusst sein. Unter solchen Gesichtspunkten erzielte Ergebnisse dürfen nicht einfach auf die Handdominanz übertragen werden. Es ist aber sinnvoll, unter Berücksichtigung der genannten Einwände, den bevorzugten Fußgebrauch zu beobachten.

Anmerkung: Die in dem Auszug aufgeführten Tätigkeitsitems sind ein Teil des Fragebogens. In Bezug auf ein untersuchtes Kind sind noch folgende weitere Fragenkomplexe enthalten:

– Mit welchem Auge wird geschaut?
– Händigkeitsentwicklung im Kindesalter
– Händigkeit in der Familie
– Händigkeit der Betreuungs- bzw. Bezugspersonen
– Schwangerschaft der Mutter
– Geburt, Entwicklung im Kleinkindalter und in der Kindergartenzeit
– Verlauf der Grundschulzeit und Auffälligkeiten.

Bewertung der Tätigkeitsbeobachtungen

Eine valide, unseren statistischen Vorstellungen entsprechende Normierung und Auswertung der Tätigkeitsitems dieses Fragebogens ist unter Berücksichtigung der oben aufgestellten Kriterien kaum möglich. Ein rein quantitativ ermitteltes Ergebnis (das bedeutet eine „bloße“ Auszählung der einzelnen Tätigkeitsitems, also rechte Hand, linke Hand oder wechselnd einmal die rechte und einmal die linke Hand) kann kein hinreichend valider Indikator für die Händigkeitsbestimmung sein. Denn auf der Phänomenebene sind und werden wesentliche biografische Entwicklungen nicht sichtbar. Diese bedürfen eher einer qualitativ orientierten Exploration. Nur so wäre es – wenn überhaupt – möglich, die einzelnen Tätigkeitsbeobachtungen unter den oben genannten Gesichtspunkten zu beleuchten und diese Ergebnisse dann in die statistische Auswertung einzubeziehen.

Wenn aber bestimmte Gesichtspunkte bei der Beurteilung einer Tätigkeit für die Händigkeitsdiagnose nicht berücksichtigt werden, kann dies zu massiven Verzerrungen bei der Händigkeitsuntersuchung und -bestimmung eines Kindes führen.

Zum Beispiel kann das für die Händigkeitsdiagnose eigentlich sehr aussagekräftige Malen und Schreiben durch sozio-kulturell beeinflusste Vorstellungen der Umwelt bei manchem eindeutig linkshändigen Kind leicht umgeschult werden. Gerade sensible, wache und beobachtende Kinder lassen sich manchmal schnell von Argumenten beeinflussen. Sie malen und schreiben dann rechts, obgleich sie viele andere Tätigkeiten mit der linken Hand weiter durchführen und eigentlich Linkshänder sind. Ähnliches gilt für den Gebrauch der Schere.

Hier müsste dem Umstand der Umschulung der Schreibhand in der statistischen Bewertung eine vom Beobachter bzw. Tester eigenmächtige spezifische Gewichtung gegeben werden. Ob die Bewertungskriterien bei einer Gewichtung jedoch statistischen Ansprüchen bei der Auswertung gerecht werden, ist zu bezweifeln und sicherlich auch abhängig davon, wann die Testung gemacht wurde. So wurde vor 15 Jahren noch sehr intensiv umgeschult. Dies geschah nicht nur beim Schreiben sondern auch bei verschiedenen anderen Tätigkeiten. Heute werden zwar weit weniger Kinder bewusst umgeschult, jedoch durch die allgemeine Diskussion des Themas in manchen Familien werden Kinder dennoch beeinflusst und ihre dominante Hand wird manchmal nicht mehr so spontan eingesetzt.

In diesem Zusammenhang ist die Arbeit von Horst Nutzhorn interessant, in der er für einzelne Tätigkeiten Punktwerte berechnet hat. Diese umfassen Aufgaben, die mit der tatsächlichen Händigkeit überhaupt nicht und Aufgaben die sehr wahrscheinlich mit der Händigkeit übereinstimmen. Die Aufgaben, die bezüglich der Händigkeit am aussagekräftigsten waren bekamen 7, die aussageschwächsten wurden mit 2 Punkten bewertet. Ungeeignete Aufgaben wurden mit 0 bewertet. Schreiben und Malen hat er nicht aufgenommen. Zur Beurteilung der Manifestation der Händigkeit berücksichtigt er auch sozio-kulturelle Faktoren, Bildungsstand, Intelligenz, Beruf der Eltern und ähnliche Faktoren (9).

Auch heute ist die Bewertung einzelner Tätigkeiten stark von der jeweiligen Haltung gegenüber der Händigkeit in einer Gesellschaft abhängig. Das ist ein Problem, das statistische Testverfahren allerdings immer haben und warum z.B. Berufseignungstests, die in Deutschland entwickelt wurden, in der Schweiz einer eigenen Normierung unterzogen werden müssen. Auf die Händigkeit bezogen kennen wir Kulturen, die auch in der Jetztzeit die linke Hand für die schmutzige, unreine erachten und Gesellschaftsgruppen, die nach wie vor linkshändige Kinder zum Schreiben auf rechts umschulen.

Auch die Begriffe Präferenz- und Leistungsdominanz sind bei der Händigkeitsbeurteilung gerade in diesem Zusammenhang sehr unsichere Diagnosekriterien. Bei einem zum Schreiben und Malen umgeschulten Linkshänder würde die Frage nach der Präferenzdominanz für Schreiben und Malen „mit der rechten Hand beantwortet“. Dann sagt diese Präferenz bei so einem Kind gerade nichts Wesentliches über seine Händigkeit aus sondern etwas über die Umschulung, den Umgang der Umwelt oder sogar des Kindes selbst mit seiner Händigkeit.

Die Leistungswerte in einem normierten Test wie dem Hand-Dominanz-Test H-D-T von Steingrüber und Lienert (10) sind nach einer Umschulung der Händigkeit zum Malen und zum Schreiben leider oft auch nicht mehr eindeutig bezüglich der Aussage über die tatsächliche Händigkeit: Es werden ja gerade diese Tätigkeiten durch den Test gemessen und die Leistungen ausgewertet, die umgeschult wurden. Das bedeutet, Fehler in der Testauswertung sind vorgegeben.

Daher erscheint eine umfassende Händigkeitsuntersuchung nicht anhand statistische Werte festlegbar zu sein sondern die Beurteilung muss unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Faktoren gewissermaßen individuell vorgenommen werden.

Es soll hier nicht gegen statistische Aufstellungen gesprochen werden sondern es sollen die Gefahren aufgezeigt werden, die gerade bei dem äußerst komplexen Thema der Händigkeitsuntersuchung und -diagnose berücksichtigt werden müssen, möchte man sich nicht sofort wieder selbst in Frage stellen.

Folgen der Umschulung der Händigkeit

Durch eine Umschulung der Händigkeit von der dominanten auf die nicht dominante Hand, insbesondere bei so intellektuell belastenden Tätigkeiten wie z.B. dem Schreiben, das große feinmotorische Anforderungen stellt, kann es zu verschiedenen negativen Primär- und Sekundärfolgeerscheinungen kommen.

Primärfolgen können sein:

  • Gedächtnisstörungen (besonders beim Abrufen von Lerninhalten)
  • Konzentrationsstörungen (schnelle Ermüdbarkeit)
  • legasthenische Probleme (Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten)
  • Raum-Lage-Labilität (Links-Rechts-Unsicherheit)
  • feinmotorische Störungen (die sich z.B. im Schriftbild äußern)
  • Sprachstörungen (Stammeln bis zum Stottern)

Diese Primärfolgen können sich dann in unterschiedliche Sekundärfolgen umsetzen:

  • Minderwertigkeitskomplexe
  • Unsicherheit
  • Zurückgezogenheit
  • Überkompensation durch erhöhten Leistungseinsatz (Demosthenes-Effekt)
  • Trotzhaltung, Widerspruchsgeist, Imponier- und Provokationsgehabe (z.B. „Klassenkasperle spielen“ im Unterricht, und im Erwachsenenalter die Rolle des Clowns und des andauernden, oft krampfhaften Witzemachers)
  • unterschiedlich ausgeprägte Verhaltensstörungen
  • Bettnässen und Nägelkauen
  • emotionale Probleme bis ins Erwachsenenalter mit neurotischen und/oder psychosomatischen Symptomen
  • Störungen im Persönlichkeitsbild.

Alle unter Primär- und Sekundärfolgen aufgeführten Schwierigkeiten können selbstverständlich auch ohne eine Umschulung der Händigkeit auftreten, und zwar genauso bei Links- wie bei Rechtshändern. Durch eine zusätzliche Umschulung der Händigkeit werden aber diese Schwierigkeiten, wie die Praxis zeigt, noch unverhältnismäßig verstärkt.

Die Umschulung der Händigkeit greift also in Gehirnablaufsprozesse störend und behindernd ein und zwingt den Menschen, andauernd weit mehr Kräfte einzusetzen, um seine Intelligenz zu mobilisieren, als ein unbehinderter, von den Folgen der Umschulung der Händigkeit nicht betroffener Links- oder Rechtshänder benötigt.

Die Intelligenz selbst wird nicht vermindert, jedoch ihre Manifestation gestört, z.B. beim Formulieren und Ausdrücken der Gedanken, beim Abrufen von Lerninhalten in Schrift und Sprache, und so kommt es andauernd zu einem erhöhten Kräfteeinsatz.

Sattler, Johanna Barbara (1995) Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. 6. Aufl. 2000, Auer Verlag, Donauwörth, S. 49f.

Fallbericht eines im Handgebrauch wechselnden Kindes mit Händigkeitsuntersuchungen im Abstand von einem Jahr

Im Februar 1997 wurde Johannes (11) zur Händigkeitsabklärung in der Beratungsstelle für Linkshänder in München vorgestellt. Er war 5 Jahre und 4 Monate alt und kam in Begleitung seines Vaters.

Johannes war sofort einverstanden ein Bild zu malen und wechselte dabei den Stift von der linken in die rechte, von der rechten in die linke Hand und im nächsten Moment wieder zurück.

Weder die Ergotherapeutin, die ihn seit einem Jahr betreute, noch die Eltern konnten eine eindeutige Links- oder Rechtshändigkeit bei ihm feststellen.

Besondere Sorgen machte den Eltern auch der Umstand, dass von Geburt an sein rechter Daumen auffällig war. Eine Klinik hatte bei dem Kleinkind u.a. festgestellt, dass sich die rechte Hand nicht vollständig streckbar wäre, der rechte Daumen adduziert sei und eine Radialabduktion der rechten Hand vorläge. Als Diagnose wurde eine zentrale Koordinationsstörung leichten Grades und Fehlhaltung der rechten Hand festgestellt. Es wurde empfohlen Krankengymnastik nach Vojta anzuwenden.

Der Kinderarzt war jedoch mit dieser Diagnose nicht zufrieden und wollte eine Hypoplasie des Handwurzelskeletts untersuchen und gegebenenfalls ausschließen lassen. In einer anderen Kinderklinik wurde dann eine Hypoplasie des Daumens befundet.

Schwangerschaft, Geburt und allgemeine Entwicklung des Kindes

In der Schwangerschaft kam es zu Blutungen, die Mutter musste liegen und eine Cerclage wurde angelegt.

Die Geburt wurde in der 39. Schwangerschaftswoche wegen abfallender Herztöne mit Kaiserschnitt durchgeführt. Der APGAR war 10, 10, 10.

Johannes wurde bis zum Alter von 13 Monaten mit Krankengymnastik nach Vojta und dann nach Bobath behandelt. Ob Johannes gekrabbelt hat war nicht mehr eindeutig zu klären. Laufen lernte er mit 13 Monaten ohne große Probleme, Sprechen eher spät, aber dann sprach er gleich gut.

Mit viereinhalb Jahren kam er in die Ergotherapie wegen Schwierigkeiten in der Feinmotorik und in der Koordination. Den Kindergarten besuchte er seit dem Alter von 4 Jahren. Er würde gern basteln, malen und mit Duplo© spielen, zeitweise puzzele er gern.

Johannes hat eine ausgeprägte Fantasie, was auch bei der Testuntersuchung der Händigkeit auffällt. Er begleitet das Malen einer Katze mit vielen Erzählungen und sucht regelmäßig die Aufmerksamkeit von Vater und Beraterin auf sich zu lenken. Seinen Namen schreibt er in Spiegelschrift, wobei er auch im Handgebrauch wechselt. Über seine Konzentrationsfähigkeit berichtet der Vater, dass Johannes gut zuhören könne, aber auch beschäftigt werden möchte.

In der folgenden Tätigkeitsbeobachtung in der Beratungsstelle fällt sein Einsatz auf, den er aufwendet um Aufgaben zu lösen. Selbst bei seinem Misserfolg einen kleinen Kreisel zu drehen, gibt er lange nicht auf. Obgleich er schnell nach neuen, anderen Beschäftigungen sucht und nicht still sitzen kann, zeigt er ein gutes Gedächtnis z.B. für Memorybilder.

Erhebungen zur Händigkeit

In der Familie sind dem Vater nur Rechtshänder bekannt. Allerdings hat Johannes keine Geschwister, von Seiten des Vaters gibt es eine Tante mit einer Tochter, deren Händigkeit nicht bekannt ist. Die Mutter hat keine Geschwister.

Der Vater schildert, dass Johannes als Kleinkind viel mit der linken Hand gemacht habe wegen der nach innen „eingeschlagenen“, geschlossenen rechten Hand. Nach einem Jahr hätte sich das gebessert und er habe dann auch die rechte Hand benutzt. Seit dem Alter von ca. 3 Jahren habe er vornehmlich beidhändig hantiert. Er scheint keine Schwierigkeiten mehr mit der Benutzung des rechten Daumens zu haben.

Zur Tätigkeitsbeobachtung des Handgebrauchs wurden über 30 Tätigkeitsitems aus dem obigen Fragebogen spielerisch durchgeführt. Dabei fiel neben dem häufigen Wechseln der Führungshand (oft innerhalb von einem Handlungsablauf) besonders auf, dass er bei für ihn neuen Tätigkeiten oft die linke Hand benutzte, z.B. Aufziehen eines mechanischen Spielzeugs. Hingegen wurden gelernte, nachgeahmte Tätigkeiten, wie z.B. die Benutzung des Essbestecks, mehr mit der rechten Hand durchgeführt.

Hand-Dominanz-Test HDT: Rechts schien das Spurennachzeichnen flüssiger zu sein. Die linke Hand wirkte feinmotorisch gestörter und beim Nachspuren wollte er öfter nach rechts wechseln, was zu einem Zeitverlust und zu einem etwas schlechteren Ergebnis als mit der rechten Hand führte. Beim Durchlauf mit der rechten Hand versuchte er nicht, den Stift in die linke zu wechseln. Beim Punktieren kam er mit der linken Hand weiter. Es traten assoziierte Mitbewegungen sowohl in den Händen als auch starke Bewegungen in den Füße unter dem Tisch auf und er gab an, dass die linke Hand „erschöpfter“ sei.

Beim Hand-Tapping zeigten sich eindeutige Linkshänderwerte, wobei feinmotorische Störungen auffielen.

Untersuchungsergebnis

Nach Abwägung aller Untersuchungsergebnisse und unter Einbeziehung der anamnestischen Daten ist Johannes aller Wahrscheinlichkeit ein Linkshänder mit Teilleistungsstörungen in verschiedenen Bereichen. Die linke Hand wirkte feinmotorisch gestörter als die rechte und ermüdete folglich schneller. Das könnte ein Grund für das Wechseln des Handgebrauchs sein – er hat die rechte, wahrscheinlich nicht dominante Hand für verschiedene Tätigkeiten mehr geübt und setzte sie bei Erschöpfung der linken Hand ein. Hinzu kommen noch Probleme beim Überkreuzen der Mittellinie, die den wechselnden Handgebrauch ihrerseits noch verstärken. Koordinationsprobleme wurden beim Hüpfen und Kreiseln besonders deutlich.

Beratungsinhalt und Prognose

Dem Vater wurde als vorläufiges Ergebnis mitgeteilt, dass Johannes entsprechend den Untersuchungsergebnissen aller Wahrscheinlichkeit nach Linkshänder sei, dass aber die linke Hand feinmotorisch mehr gestört sei, was auch das Wechseln beim Handgebrauch begünstige. Es sei also nicht der verkürzte rechte Daumen, der zu dem starken Einsatz der linken Hand führt, denn dieser behinderte ihn beim Hantieren nicht.

Es wurde vorgeschlagen, Johannes jetzt nicht direkt auf links zu trainieren sondern noch zu warten und mehr seine Koordination und allgemeine Feinmotorik zu fördern.

Als Prognose wurde aufgestellt, dass sich Johannes immer mehr auf die linke Hand beim Malen und ersten Schreiben (seines Namens) festlegen würde. Wenn sich das nicht so einstellt, sollen die Eltern noch mal mit Johannes in der Beratungsstelle vorstellig werden. Sicherheitshalber wurde dem Kind und seinem Vater eine lockere Schreibhaltung mit links gezeigt und Nachspurübungen für die Zeit, wenn er feinmotorisch weiter sein wird, mitgegeben.

In einem Telefonat mit der Ergotherapeutin wurde die Händigkeitsuntersuchung besprochen, die Vorschläge zum weiteren Vorgehen begründet und die angenommene prognostische Entwicklung der Händigkeit mitgeteilt.

Händigkeitsuntersuchung ein Jahr später

Im Februar 1998 kommt es zu einer erneuten Untersuchung von Johannes in der Beratungsstelle für Linkshänder.

Als der Vater den Termin vereinbarte, erwähnte er, dass in der Familie noch Vorbehalte gegenüber der Linkshändigkeit von Johannes bestünden und nannte besonders die Großeltern.

Mit der Ergotherapeutin fand kurz vor dem Termin ein Gespräch statt und sie berichtete, dass der Schwerpunkt der ergotherapeutischen Arbeit in der Zwischenzeit auf Feinmotorik, Druckdosierung, Gleichgewicht, Tiefensensibilität und Ausdauer liege. Johannes könne inzwischen Schleifen binden und die Ausdauer habe sich gut verbessert. Das Gleichgewicht sei noch nicht so gut. Nach ihrer Beobachtung führt er etwa 75 % der Tätigkeiten mit links durch.

Zur Händigkeitsuntersuchung kommen diesmal beide Elternteile mit. Bei der Tätigkeitsbeobachtung wurde ein großer Teil der Tätigkeitsitems wiederholt und es bestätigte sich die Beobachtung der Ergotherapeutin, dass die linke Hand häufiger und länger eingesetzt wird. Das andauernde Hin- und Herwechseln im Handgebrauch, das ein Jahr zuvor sehr auffällig war, ist weit weniger geworden. Johannes malt jetzt durchgehend mit der linken Hand. Allerdings scheint das Kreuzen der Mittellinie immer noch nicht problemlos zu erfolgen. Das fällt besonders bei der Testdurchführung des Hand-Dominanz-Tests auf. Hier ist er nicht bereit, jeweils an der gegenüberliegenden Seite (wie es der Test vorgibt) zu beginnen. Das Spurennachzeichnen ist im Ergebnis nicht eindeutig, jedoch betont er ostentativ, dass er sich „Zeit lässt“. Wahrscheinlich hat die Anweisung so schnell wie möglich zu arbeiten zu der Reaktion geführt, dass er sich nicht unter Druck setzen lassen möchte. Beim Punktieren arbeitet er ohne diesen Widerstand und die linke Hand setzt sich durch. Mehrfach erklärt er, dass er auf die rechte Hand tippt und auf die Nachfrage warum, erklärt er, „ich mag Rechtshänder sein, weil das besser ist“ (12).

Im Laufe der Beratung stellt sich heraus, dass sich Johannes, um die linke und rechte Seite zu unterscheiden, an der Kleidung seiner Mutter orientiert. Er hat sie zuvor im Gang noch gefragt, wo links und wo rechts sei und sich die Seiten an ihrem Pullover eingeprägt. Die Mutter versucht das zu bestreiten, aber er beharrt so entschieden darauf, dass sie ihm das zuvor gesagt habe, dass sie nachgibt.

Als im Gespräch mit den Eltern ohne Johannes nachgefragt wird, welche Seite der Großeltern denn noch Vorbehalte gegenüber der Linkshändigkeit habe, stellt sich heraus, dass es nicht die Großeltern sind sondern die Mutter selbst. Sie möchte nichts falsch machen und meinte nach wie vor, dass wegen der Verkürzung des rechten Daumens es zu der Unsicherheit im Handgebrauch bei Johannes gekommen sei. Der Mutter war es sehr wichtig, möglichst keinen Fehler zu machen und nicht die falsche Händigkeit einzuüben. Das hatte vermutlich zu Diskussionen zwischen den Eltern geführt und dazu, dass die Mutter mit zur Beratung gekommen ist. Anzumerken ist, dass sie seitdem ihren Sohn auch in die Ergotherapie begleitete, in die sie zuvor nie mitgekommen war.

Die Teilnahme an der Händigkeitsuntersuchung und das Gespräch dort, ermöglichte es der Mutter die Linkshändigkeit von Johannes als naturgegeben anzunehmen. Es war auf der anderen Seite sehr wichtig für das Kind, dass beide Eltern seine Linkshändigkeit akzeptierten und dass am Schluss des Beratungsgesprächs gerade die Mutter mit Johannes über seine Linkshändigkeit sprach und diese somit offiziell anerkannte.

In dem folgenden halben Jahr bis zur Einschulung wurde gezielt eine lockere Schreibhaltung mit links vorbereitet, jedoch auch die Ergotherapie fortgesetzt.

In der Schule entwickelte Johannes eine sehr schöne Schrift und wurde häufig dafür ausgezeichnet. Die befürchteten Teilleistungsprobleme, insbesondere in der Ausdauer, sind bisher nicht aufgetreten.

Differentialdiagnostische Erhebung bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch

Es wäre sinnvoll, wenn Ergotherapeuten bzw. Fachleute, die mit bewegungsauffälligen Kindern arbeiten, eine möglichst differenzierte Befunderhebung der festgestellten Defizite und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch aufzeichnen würden. Dies könnte als Screeningraster zur Behandlung dieser Kinder genutzt werden, uns aber zunächst mehr Informationen darüber geben, welche Problembereiche bei solchen Kindern besonders hervortreten.

Therapeuten mit Zusatzausbildungen haben jeweils andere Beobachtungskriterien und -schwerpunkte. Mir ist bewusst, dass man nicht allen diesen Gesichtspunkten in so einem Beobachtungsblatt gerecht werden kann und dass manche Differenzierung sicher mit dem einen oder anderen Ansatz etwas kollidiert – oder anders gesagt, dass manche Problembereiche nicht wirklich voneinander trennbar sind. Um den verschiedenen Gesichtspunkten möglichst etwas gerecht zu werden, kommt es manchmal auch zu Wiederholungen der zu beobachtenden Kriterien in dem „Erhebungsbogen von Defiziten und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch“. Dieser Bogen kann auch aus dem Internet heruntergeladen (www.forum-ergotherapie.de) oder bei der Redaktion kostenlos bezogen werden (Einzelheiten finden Sie am Ende des Artikels).

Es ist aber sehr wichtig, dass wir uns darum bemühen, Kinder mit wechselndem Handgebrauch genauer zu beobachten. Es ist ein Versuch, uns mit diesem Beobachtungsbogen bessere Einschätzungsmöglichkeiten zu erarbeiten.

Es ist im Interesse der Entwickler dieses Erhebungsbogens, dass Ergotherapeuten und andere Bewegungstherapeuten bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch diesen Bogen ausfüllen und an die Verfasserin schicken. Die Auswertung dieser Erhebungen würde uns vielleicht genauere Hinweise auf Irritationen und Entwicklungsstörungen bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch geben und möglicherweise Schlüsse auf therapeutische Interventionen zulassen.

An dieser Stelle möchte ich allen Ergotherapeuten danken, die im Laufe meiner Arbeit meine Fragestellungen begleitet haben, die durch ihre Fragen Denkprozesse angeregt haben und deren Überlegungen und Beobachtungen zu einer weit differenzierten Beobachtung von linkshändigen Kindern und Kindern mit noch wechselndem Handgebrauch beigetragen haben. Dabei handelt es sich um eine große Anzahl von ErgotherapeutInnen, die meine Seminare besucht haben und von denen viele in stetigem Kontakt zu mir stehen und um eine weitere Gruppe von Fachleuten, die die Zusatzausbildung zum/zur Linkshänder-BeraterIn nach meiner Methode durchlaufen haben und durchlaufen.

Wir können nur durch Erhebung von Daten in der Praxis und deren Auswertung, durch genaue Beobachtung der Kinder und durch eine umsichtige anamnestische Erhebung des Umfelds der Kinder unter Einbeziehung von Persönlichkeitseigenschaften dieser Kinder, soweit das im Rahmen einer ergotherapeutischen Arbeit liegt, zu einer angemessenen Behandlung der Thematik kommen.

 

Fußnoten:

(1) Sattler, Johanna Barbara (1993) „‚Beidhänder'“ sind hirngeschädigt“. In: Münchener Medizinische Wochenschrift, Nr. 21, S. 291/35-294/40. Wieder abgedruckt in: Sattler, J.B. (1995) Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag Donauwörth, 6. Aufl. 2000, S. 350-356.

(2) Zwei frühere Artikel der Autorin befassen sich auch mit der Händigkeit von Kindern im therapeutischen und medizinischen Bereich: Sattler, J.B. (1999) „Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in der Ergotherapie„. In: praxis ergotherapie, 12. Jg. (2), S. 98-110.

Sattler, J.B. (2001) „Linkshändige und umgeschulte linkshändige Kinder und Jugendliche„. In: Kinder- und Jugendarzt. Zeits. des Berufsverbandes der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Deutschland e.V. 32. Jg. (2), S. 139-147.

(3) Lehrpläne für die Berufsfachschule für Ergotherapie (2001) Herausgeber: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, München. Vertrieb: Verlag Alfred Hintermaier, München.

(4) Neufassung des Lehrplans für die Grundschulen in Bayern (2000) Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus und Wissenschaft, Forschung und Kunst, München. Herausgeber: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, München. Vertrieb: R. Oldenbourg Betriebs GmbH, Kirchheim b. München. S. 78. Eine Zusammenstellung der Textstellen findet man im Internet unter: www.lefthander-consulting.org/deutsch/lehrplanbayern.htm

(5) Sattler, Johanna Barbara (2001) Schlusswort. In: Kinder- und Jugendarzt. Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. 32. Jg., Nr. 5. S. 430-432. S. 431.

(6) Sattler, Johanna Barbara (1998) Zur Testung der Linkshändigkeit. In:Left Hand Corner, Nr. 2, 1/98, S. 56-12.

(7) Sattler, Johanna Barbara (1998) Die Psyche des linkshändigen Kindes. Von der Seele, die mit Tieren spricht. Auer Verlag, Donauwörth, 1999 .

(8) Siehe dazu auch Murray, Elizabeth A. (1998) Hemisphärenspezialisation. In: Fisher, Anne G., Elizabeth A. Murray, Anita C. Bundy, Sensorische Integrationstherapie. Springer-Verlag, Berlin, 1. korrigierter Nachdruck 1999. S. 281-329. S. 290.

(9) Nutzhorn, Horst (1953) Untersuchungen zum Rechts-Links-Problem. Ein Beitrag zur Diagnose und psychologischen Bedeutung der Seitigkeit des Menschen. Braunschweig: Dissertation.

(10) Steingrüber, Hans-Joachim, Gustav A. Lienert (1971) Hand-Dominanz-Test H-D-T. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen, 2. Aufl. 1976.

(11) Name geändert.

(12) Es gibt von beiden Händigkeitsuntersuchungen eine Videoaufzeichnung, die von Anfang bis Ende aufgenommen wurde. Daher sind die Aussagen von Johannes bis heute genau nachvollziehbar.

 

Schlüsselwörter:
Linkshänder, Händigkeit, umgeschulte Linkshänder, wechselnder Handgebrauch, Beidhänder, Händigkeitstests. Testuntersuchung der Händigkeit

 

Keywords:
left-hander, handedness, converted left-hander, switching back and forth between the hands, ambidexter, testing handedness

 

Literatur:
Lehrpläne für die Berufsfachschule für Ergotherapie. (2001). Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Herausgeber: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, München. Vertrieb: Verlag Alfred Hintermaier, München

Neufassung des Lehrplans für die Grundschulen in Bayern. (2000). Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus und Wissenschaft, Forschung und Kunst . Herausgeber: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, München. Vertrieb: R. Oldenbourg Betriebs GmbH, Kirchheim b. München

Murray, Elizabeth A. (1998) Hemisphärenspezialisation. In: Fisher, Anne G., Elizabeth A. Murray, Anita C. Bundy, Sensorische Integrationstherapie. Springer-Verlag, Berlin, 1. korrigierter Nachdruck 1999, S. 281-329

Nutzhorn, Horst (1953) Untersuchungen zum Rechts-Links-Problem. Ein Beitrag zur Diagnose und psychologischen Bedeutung der Seitigkeit des Menschen. Braunschweig: Dissertation

Sattler, Johanna, Barbara (1993) „‚Beidhänder'“ sind hirngeschädigt“. In: Münchener Medizinische Wochenschrift, Nr. 21, S. 291/35-294/40. Wieder abgedruckt in: Sattler, J.B. (1995) Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag Donauwörth, 6. Aufl. 2000, S. 350-356

Sattler, Johanna, Barbara (1995) Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag Donauwörth, 6. Aufl. 2000

Sattler, Johanna Barbara (1998) Zur Testung der Linkshändigkeit. In: Left Hand Corner, Nr. 2, 1/98, S. 6-12

Sattler, Johanna Barbara (1998) Die Psyche des linkshändigen Kindes. Von der Seele, die mit Tieren spricht. Auer Verlag, Donauwörth, 2000 (3)

Sattler, Johanna Barbara (1999) „Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in der Ergotherapie„. In: praxis ergotherapie, 12. Jg. (2), S. 98-110

Sattler, Johanna Barbara (2001) „Linkshändige und umgeschulte linkshändige Kinder und Jugendliche„. In: Kinder- und Jugendarzt. Zeits. des Berufsverbandes der Ärzte für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Deutschland e.V. 32. Jg. (2), S. 139-147

Sattler, Johanna Barbara (2001) Schlusswort. In: Kinder- und Jugendarzt. Zeitschrift des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. 32. Jg., Nr. 5. S. 430-432

Steingrüber, Hans-Joachim, Gustav A. Lienert (1971) Hand-Dominanz-Test. H-D-T. Verlag für Psychologie Dr. C.J. Hogrefe, Göttingen, 2. Aufl. 1976

 

In: Ergotherapie & Rehabilitation. Herausgeber: Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V., Schulz-Kirchner Verlag GmbH, 41. Jg., Mai 2002, S. 21-29.


Achtung:
der „Fragebogen zur Bestimmung der Händigkeit“ und der „Erhebungsbogen von Defiziten und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch“ stehen Ihnen hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Zusammenfassung
Um Kinder angemessen fördern und behandeln zu können, interessieren die angeborene Händigkeit , altersgerechte Ausbildung der Handpräferenz sowie bereits erfolgte Umschulungsversuche. Um bei Kindern mit wechselndem Handgebrauch oder bei umgeschulten Kindern die angeborene Händigkeit herauszufinden, stellt die Autorin im Beitrag selbst sowie in zusätzlich abrufbaren Fragebögen umfangreiches Material zur Verfügung, mit dem eine differenzierte Händigkeitsuntersuchung vorgenommen werden kann. Ein Fallbericht ergänzt die Ausführungen.

Schlüsselwörter: • Linkshänder • Händigkeit • umgeschulte Linkshänder • wechselnder Handgebrauch • Beidhänder • Händigkeitstests

Summary
When treating children, it is important for the therapist to be aware of their natural left or right handedness, the age-related extent of their hand preference, as well as any attempts that have been made to change that preference. In order to discover the natural handedness of children who keep switching hands or who have been retrained, the author provides extensive material in this article as well as in additional questionnaires, which can be used to determine the handedness. A case study completes the presentation.

KEY WORDS: • left-hander • handedness • converted left-hander • switching back and forth between the hands • ambidexter • testing handedness

Résumé
Afin de proposer aux enfants des exercices et un traitement adéquat, il convient de connaitre quelle est la latéralité innée,le stade de développement correspondant à l’âge ainsi que les essais de changement de côté. Afin de déterminer le côté dominant auprès d’enfants changeant de main souvent, ou ayant été contrariés dans leur latéralisation, l’auteur met à disposition dans l’article lui-même, ainsi que des tests supplémentaires, du matérial varié avec lequel un examen différencé de la latéralité peut être effectué. Un exemple cas complète l’explication.

MOTS CLEFS: • gaucher • latéralité • gaucher contrarié • latéralité changeante • ambidextrie • test de latéralité

Anschrift der Autorin:
Dr. Johanna Barbara Sattler
approbierte Psychotherapeutin
Leiterin der Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle
für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder
Sendlinger Str. 17
80331 München
Tel.: 0 89 / 26 86 14
www.lefthander-consulting.org

© Copyright: Dr. Johanna Barbara Sattler
Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, Sendlinger Str. 17, 80331
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