Vorwort zum Buch: Die Psyche des linkshändigen Kindes

Prof. Dr. Wilhelm Franz Angermeier

Linkshänder haben es auch heute noch sehr schwer in unserer so genannten westlichen Zivilisation. Das merkt man schon, wenn sie versuchen, einem die Hand zu geben! Noch deutlicher wird es, wenn sich die verschleierte Einstellung der Volksseele in sprachlichen Ausdrücken äußert, wie z.B. „Ein Linker…“ oder „Das mache ich mit links!“. Dadurch wird deutlich, dass alles, was mit „links“ zusammenhängt, als minderwertig gilt.

Die in diesem Buch von Frau Dr. Sattler dargestellten Zusammenhänge gehen weit über die spekulativen Schlußfolgerungen der rein wissenschaftlichen neurophysiologischen und -anatomischen Untersuchungen hinaus, da sie praxisbezogen sind. Dies bedeutet, dass nicht nur augenscheinliche „Kausalität“ in einem Bereich als Erklärungsmöglichkeit für diese Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändigkeit herangezogen werden kann. Vielmehr zeigt Frau Dr. Sattler anhand einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, die genetische Prädisposition, frühkindliche Erziehungserlebnisse und Dynamik und Statik sonstiger Einflüsse der sozialen Umwelt berücksichtigt, wie vorteilhaft sich diese Vorgehensweise bei der Auslegung der – in der Praxis gewonnenen – Einsichten auswirkt. Außerdem wird es dem Leser klar und deutlich, wie wichtig ein Verständnis der durch die Händigkeit verursachten Unterschiede im Denken, Sprechen und Handeln beim Umgang mit anderen Menschen ist.

Eingebettet in ein Märchen, dessen Hauptcharakter Aljoscha eher als wirklicher Geschichtenerzähler denn als Märchenfigur fasziniert, werden die unterschiedlichsten Dynamiken des menschlichen Zusammenseins herausgearbeitet. Hier ist der Bogen weit und umfassend gespannt von frühkindlichen Einwirkungen über Interaktionen in Freundschaften, der Ehe und im Beruf. Frau Dr. Sattler versteht es, aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Praxis, diese Zusammenhänge und ihre Deutung brillant und überzeugend darzustellen, auch für diejenigen, denen diese Interpretationen nicht in ihre engstirnigen Theorien passen sollten.

Im Wechselspiel zwischen Realität und Märchen – Aljoschas Geschichten und Fallbeispielen – gewinnt der unvoreingenommene Leser einen Einblick in die Probleme, mit denen Links- und Rechtshänder im Leben fertig werden sollen.

Es wäre falsch zu glauben, dass das Buch Rezepte enthält, die es dem einzelnen ermöglichen, seine Probleme selbst zu lösen. Aber es vermittelt Einsichten in die Probleme, die dem einzelnen helfen können, seine eigenen Schwierigkeiten zu erkennen und dafür Hilfe zu suchen. Für Frau Dr. Sattler hat die Händigkeit einen Stellenwert, ähnlich dem der Geschlechter, also wie eine Plattform, auf der gezielt aufgebaut werden kann, und die dem gesamten Bereich der Entwicklung des menschlichen Charakters und seiner unterschiedlichen Eigenschaften Raum lässt. Händigkeit kann also somit nicht zu einer neuen Typologie der menschlichen Persönlichkeitsstruktur werden: Frau Dr. Sattler sieht in der Händigkeit eine Ergänzung zur Erklärung der menschlichen Persönlichkeit und nicht eine neue Richtung.

Händigkeit bestimmt unsere Einstellungen, unsere Art zu denken und unsere Handlungen mit, aber sie bestimmt sie nicht ausschließlich. Das ist das tragende Thema dieses hervorragenden Buches. Hervorragend, weil die Autorin nicht den alten Fehler gemacht hat, alles mit einem System erklären zu wollen. So kann man nach sorgfältiger Lektüre dieses Buches über den Stellenwert der Händigkeit möglicherweise streiten, aber ignorieren kann man ihn nicht mehr. Ein gelungenes Werk, das neben seinem wissenschaftlichen Wert auch noch helfen kann, häufig auftretende persönliche und soziale Konflikte – über das Verständnis der Problematik der Händigkeit – zu entschärfen.

 

Prof. Dr. Wilhelm Franz Angermeier

Visiting Professor, University of Central Florida, Orlando, FL-USA
Adjunct Professor, The National University of Ireland, Galway
Professor emeritus, Universität zu Köln